Stuttgart – Der Unterschied zwischen Stadt und Land lässt sich nach wie vor auch gut bemessen an der Zahl der Kilometer, die man bis zur nächsten Praxis fahren muss. Auf der Schwäbischen Alb oder im Hohenlohischen können da schon mal ein paar Kilometer zusammenkommen, in Freiburg wohnt der Hausarzt dagegen nicht selten nebenan.

Mit einem flexibleren Medizinstudium soll sich dieses Gefälle in Baden-Württemberg bald verringern. Eine zehnseitige Kabinettsvorlage hält fest, was sich ändern soll.

Denn nach Schätzungen der Landesregierung haben rund 665.000 Menschen in Baden-Württemberg keinen Hausarzt an ihrem Wohnort. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) geht von 616 unbesetzten Stellen für Hausärzte aus (Stand 12. Februar). Und gibt es einen Hausarzt am Ort, dann ist dieser häufig schon älter: Das Durchschnittsalter Mediziner liegt bei 56,1 Jahren (Stand 1. April), 37 Prozent sind sogar 60 Jahre und älter.

Von den Fraktionsspitzen nach längerem Streit mit einem Kompromiss gebilligt, wird laut Kabinettsentwurf die Zahl der Studienplätze um 150 ausgebaut, im Studienjahr 2021/22 soll es insgesamt 1699 Plätze geben. Alle fünf medizinischen Fakultäten in Tübingen, Ulm, Freiburg, Heidelberg und Mannheim werden ihre Kapazitäten um 30 Studienanfängerplätze erhöhen.

Die «Landarztquote» ist zumindest als Kompromiss mit dabei: Laut Vorlage werden 75 der neuen Studienplätze an Studienanfänger in der Humanmedizin vergeben, die Landarzt werden möchten, aber nach dem herkömmlichen Verfahren keinen Studienplatz bekommen haben. Diese Studenten verpflichten sich, nach ihrem Abschluss in einem Gebiet zu arbeiten, in dem es einen Ärztemangel gibt.

Für die CDU war diese Quote eine Bedingung, um den Plänen von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer zuzustimmen. Die Grünen-Ministerin ist allerdings nach wie vor nicht begeistert von der Quote: «Es ist ein langsames und unsicheres Mittel. Wir brauchen aber etwas schnelles und wirksames», sagt sie.

Eingeführt wird zudem das neue Neigungsprofil «Ländliche Hausarztmedizin», für das sich jeder Student der Humanmedizin im Laufe des Studiums entscheiden kann. «Wir wollen den Studierenden das ganze Studium hindurch Angebote machen und ihn oder sie entscheiden lassen. So bekommen alle Medizinstudenten Zugang zu dem Thema», sagt Bauer.

Die Studenten können in jedem Semester spezielle Ausbildungsmodule wählen, die sie auf eine Karriere in der Primärversorgung vorbereiten sollen, heißt es in dem Papier. In den Kursen sollen sie auch mit regionalen Akteuren wie Hausärzten, Versorgungszentren, aber auch Bürgermeistern und Landräten zusammengebracht werden. Ziel sei es, die angehenden Ärzte früh für eine Region zu interessieren, erläutert Bauer.

Ihrer Ansicht nach ist es wichtig, das Denken in alten Hausarztmodellen abzulegen. «Junge Menschen wollen Zeit verbringen direkt am Patienten, aber auch mit ihrer Familie. Sie wollen hingegen keine Zeit verlieren mit Unternehmensbürokratie und Softwareanpassungen.» Dafür brauche es neue Praxismodelle wie Gemeinschaftspraxen. Junge Studenten müssten früh erfahren, dass der Beruf des Arztes in der Region durchaus vereinbar sein könne mit Familie und mit geregelten Arbeitszeiten. Dank digitaler Anbindung könnten sie auch an der Forschung dranbleiben. So bleibe der Kontakt zu Kollegen und Spezialisten in den Kliniken erhalten.

Die Organisation des Netzwerks übernehmen neue Institute an den Uni-Standorten, darunter das Freiburger Team von Andy Maun. «Die künftige Generation an Hausärzten ist weiblich, jung, hat Familie und möchte vor allem mit Patienten arbeiten und nicht mit der Verwaltung», sagt auch er. Die Beteiligten müssten nun an einen Tisch gebracht werden, es brauche ein Netzwerk und Kontakte zu Praxen, die einen Nachfolger suchten. Maun zeigt sich optimistisch: «Was das Interesse am Beruf angeht, haben wir die Talsohle durchlaufen.»

Nach den Vorstellungen Bauers können die ersten Studenten im ersten Quartal des kommenden Jahres für das dann folgende Wintersemester ausgewählt werden. Billige das Kabinett den Entwurf, werde das Sozialministerium das entsprechende Gesetz entwerfen. «In zwei oder drei Jahren sehen wir dann frühestens, ob wir uns in die richtige Richtung bewegen.»

Fotocredits: Maurizio Gambarini
(dpa)

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