Karlsruhe – Theresia P. sitzt auf ihrer Küchenbank und freut sich still. Sie schaut auf ihre Hände, manchmal geht ihr Blick nach links, hin zu Hossein Pazouki. Läuft. Die beiden wirken freundlich und vertraut, ein eingespieltes Team sind sie in ihrer «WG» in Pfinztal bei Karlsruhe.

Und ein ungewöhnliches obendrein. Er studiert, sie nicht. Er kommt aus dem Iran, sie hat fast ihr ganzes Leben in dem kleinen Ort verbracht. Er ist 32 und sie 85. Und sie teilen das kleine Häuschen von Theresia P. im Rahmen des Projektes «Wohnen für Hilfe». Frau P. bietet kostenlosen Wohnraum. Herr Pazouki hilft ihr dafür im Alltag beim Staubsaugen, Bodenwischen, Flaschentragen. Nur Nebenkosten muss er zahlen.

«Wohnen für Hilfe» gibt es in vielen deutschen Städten, von Aachen bis Würzburg listet die Website 36 Städte auf, die solche Wohnpartnerschaften anbieten. Darmstadt hatte Ende der 90er das Angebot erstmals eingeführt, es folgten München und 2002 Freiburg, erzählt Nicole Krauße vom dortigen Studierendenwerk. Ursprünglich stammt die Idee aus England.

Mitmachen kann jeder; vorher werden die Wohnungen angeschaut und geprüft, wer zusammenpassen könnte. Faustregel: Pro Quadratmeter Wohnraum muss der WG-Partner dem «Vermieter» eine Stunde Hilfe im Monat leisten; Pflegedienstleistungen sind ausgeschlossen. Das Angebot richtet sich an Studenten mit schmalem Budget und sozialem Interesse und an Senioren, Familien oder Menschen mit Behinderung, die Unterstützung suchen, Gesellschaft, Sozialkontakte.

«Als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich: Das isses!», sagt Theresia P.. Ihren Nachnamen möchte sie nicht nennen, das ist ihr zu privat. Sie hat drei Söhne großgezogen, ein Leben lang hart gearbeitet und vor 14 Jahren ihren Mann verloren. Danach lebte sie allein. Bis einer ihrer Söhne vom Angebot «Wohnen für Hilfe» las. Seitdem ist ihm wohler – und seiner Mutter auch.

2013 wagte sich die gehbehinderte Seniorin in eine erste Wohnpartnerschaft mit einer jungen Frau. Als diese Karlsruhe verließ, musste sie sich an jemand anderes gewöhnen. «Oh Gott, ein Mann», dachte sie, als ihr Hossein Pazouki vorgeschlagen wurde. Und dann gefiel ihr sofort seine sanfte Art, seine Bescheidenheit und Hilfsbereitschaft.

Kurz vor Vorlesungsbeginn im laufenden Wintersemester sind auch die Wartelisten für «Wohnen für Hilfe» wieder vergleichsweise lang, erzählt Stefanie Bienwald von den Paritätischen Sozialdiensten, in Karlsruhe verantwortlich für das Projekt. Die Wohnungsnot für Studenten ist in vielen Städten ohnehin groß. Alleine im vergangenen Wintersemester studierten nach Angaben des Statistischen Landesamtes rund 356 000 Menschen an baden-württembergischen Hochschulen. Gut zwölf Prozent kommen nach Angaben des Wissenschaftsministeriums in Wohnheimen unter. Der Rest muss auf den privaten, oft teuren Wohnungsmarkt ausweichen.

«Viele Bürger vermieten auf dem freien Wohnungsmarkt, das ist oft sehr lukrativ», erklärt Heike Bermond, Koordinatorin des Projektes in Köln. «Bei ‚Wohnen für Hilfe‘ steht aber gerade nicht das monetäre im Vordergrund.» In Köln, so schätzt sie, werden mit rund 80 Wohnpartnerschaften jährlich bundesweit die meisten im Rahmen dieses Projektes vermittelt. In Karlsruhe gibt es derzeit 33. Vor allem sind es Senioren, die Wohnraum anbieten. Familien oder Menschen mit Behinderung gibt es eher selten.

Natürlich: «Wohnen für Hilfe» ist inmitten der Wohnungsnot nur ein Tropfen auf den heißen Stein, das räumen Bienwald und Bermond gleichermaßen ein. «Aber es ist eine soziale Idee», sagt Bermond. «Dass die Menschen näher zusammenrücken.» Zwischen Frau P. und Herrn Pazouki hat das funktioniert. Sie reden über dies und das. Sie üben das «Ü», das es in seiner Sprache nicht gibt.

Frau P. ist sehr zufrieden. Sie ist nicht mehr alleine. Sie mag gar nicht daran denken, dass Informatik-Student Pazouki irgendwann wieder weggeht. Pazouki ist sehr zufrieden. Das mit dem «Ü» klappt immer besser. «Bald mache ich Prüfung.»

Fotocredits: Ronald Wittek,Ronald Wittek,Ronald Wittek
(dpa)

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