Flensburg – Die Examensnoten an deutschen Hochschulen sind seit den 70er-Jahren immer besser geworden – und sagen immer weniger aus. Flensburger Forscher haben diese «grade inflation» untersucht und fordern ein Umdenken bei der Benotung: Für mehr Gerechtigkeit müsse Vergleichbarkeit her.

«Studierende kommen heute mit einer anderen Erwartungshaltung. Wenn Sie eine 2,0 vergeben, sehen Sie manchmal schon ein Tränchen», sagt Gerd Grözinger, Bildungsökonom an der Europa-Universität Flensburg. «Es gibt Fächer wie Biologie oder Psychologie, in denen die Eins die häufigste Note ist», ergänzt Volker Müller-Benedict, Hochschullehrer für Forschungsmethoden. «Das besagt erst mal, dass man zur besseren Hälfte gehört.»

Für ihre Studie «Noten an Deutschlands Hochschulen» haben die  Forscher für ausgewählte Fächer mit einem Team drei Jahre lang 138 000 Prüfungsakten und rund 700 000 Examensnoten aus sieben Universitätsarchiven in der Bundesrepublik von 1960 bis 1996 ausgewertet. Hinzu kamen Gruppendiskussionen sowie rund 5,3 Millionen Daten aus der offiziellen Notenstatistik seit 1996.

Die von den Forschern nachgewiesene Inflation verläuft in Zyklen. «Es gibt Phasen, in denen Noten stagnieren und in denen sie besser werden», sagt Müller-Benedict. In Fächern mit nationalem Arbeitsmarkt wie Lehramt oder Psychologie spiegele sich die Konjunktur: «Wenn auf dem Arbeitsmarkt Mangel herrscht, gibt es bessere Noten. Bei Überfüllung wird mehr selektiert.» Die Bewertung in allgemeineren Fächern wie Biologie oder Germanistik hänge dagegen oft mit der Zahl der Studenten zusammen: «Wenn viele studieren, wird stärker gesiebt.»

Hinzu kämen verschiedene Fächerkulturen und Unterschiede an den Universitäten. Während bei Juristen eine Vier fast überall dem Durchschnitt entspricht und ein Vollbefriedigend bereits für den Staatsdienst qualifiziert, gibt es in anderen Fächern je nach Uni unterschiedliche Prüfungskulturen und Bewertungen. Zudem gäben etwa Ältere oder Frauen im Schnitt bessere Noten. Viele internationale Studenten würden den Schnitt dagegen oft drücken.

Noten, fordern die beiden Forscher, müssten vergleichbar sein, um Ungerechtigkeiten zu beenden. So sollte das Statistische Bundesamt regelmäßig die bundesweiten Durchschnittsnoten der Fächer veröffentlichen – als Orientierung für Arbeitgeber und wegen zunehmender Interdisziplinarität.

Auf dem Zeugnis sollte ferner eine Einordnung der Note erfolgen, verlangen die Forscher – etwa per kleinem Balkendiagramm, wie viele Einser, Zweier, Dreier, Vierer und Fünfer es in den vergangenen fünf Jahren in dem Fach an dieser Uni gegeben hat. Denn ihnen war etwa auch aufgefallen, dass Fachhochschulen bessere BA-Noten vergeben. «Und zwar nicht, weil sie die besseren Studierenden haben», sagt Grözinger.

Auch die Kultusministerkonferenz (KMK) kämpft seit Jahren gegen Noteninflation. Neben der absoluten Note fordert sie nach Angaben eines Sprechers seit 2013 einen sogenannten Prozentrang, um zumindest bei der Zulassung zu Master-Studiengängen «eine transparente und objektive Bewertung zu erleichtern». Im Wissen, dass Noten oft wenig vergleichbar sind, plädieren die beiden Flensburger Forscher dafür, etwa bei der Vergabe von Masterplätzen stärker auf Losverfahren zu setzen – denn Gerechtigkeit gebe es auf Basis der Bewertungen sowieso nicht.

Als einen Grund für Noteninflation vermuten die Forscher, dass Professoren häufig nach ihren Absolventen beurteilt werden. Auch Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, warnt davor, gute Noten mit guter Lehre zu assoziieren. Dozenten könnten Druck verspüren, gute Noten zu vergeben. Er plädiert dafür, «die bisherige Notenskala durch drei Kategorien zu ersetzen: exzellent – bestanden – durchgefallen. Mehr brauchen wir eigentlich nicht.»

Dass sich Studierende wegen einer potenziell besseren Abschlussnote gezielt für eine gut benotende Uni entscheiden, glauben die Flensburger Forscher indes nicht. «Wir wissen, dass Deutsche meist im Umkreis von 100 Kilometern zu ihrem Heimatort studieren, da spielen ganz andere Faktoren eine Rolle», sagt Grözinger.

Fotocredits: Daniel Naupold
(dpa)

(dpa)