Mainz – Samuel Kirsch hält seine Hände erst vor den Mund, dann vor die Ohren, macht verschiedene Gesangsübungen – vom Lacher bis zum Singen von Vokalen. «Das klingt sehr kontrolliert, Du kannst es ruhig genießen», rät Gesangslehrer Werner Schüssler. Dann schmettert Kirsch die Arie «Panis angelicus».

Den Unterkiefer etwas weniger bewegen, empfiehlt Schüssler und hebt dann den Daumen, während er am Flügel in die Tasten haut. Sein Gegenüber Kirsch ist Jura-Student an der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität – und Teil der
Chorakademie des
«Collegium musicum». Das bietet eine studienbegleitende musikalische Ausbildung, die ihresgleichen suchen dürfte.

Neben der Chorakademie mit 35 Plätzen bietet das Collegium eine Orchesterakademie mit 15 Plätzen. Das Angebot richtet sich – anders als bei der Hochschule für Musik, die nur ein paar hundert Meter weiter auf dem Campus sitzt – an interessierte Studenten, die eher nicht den professionellen Weg in die Musik anstreben. Vorkenntnisse helfen, sind aber nicht unbedingt erforderlich. Die Ensembles des Collegiums sind der Uni-Chor, das Uni-Orchester und seit 2013 der
Gutenberg-Kammerchor, der auch über die Region hinaus auftritt.

Gegründet wurde das «Collegium musicum» 1946 – dem Jahr der Uni-Wiedereröffnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Grundidee ist, künstlerische, musikwissenschaftliche und pädagogische Aspekte zusammenzubringen. Seit 2012 leitet der Cellist, Dirigent und Musikpädagoge Felix Koch das Institut. Der Experte für Alte Musik hat auch eine halbe Professur an der Hochschule für Musik inne.

Ihm geht es um Freude am Gesang bei hohem Anspruch – ein Mix aus professioneller Ausbildung und Förderung der Laien-Musik, wie er sagt. «Es muss Spaß machen, aber der kommt nur mit Qualität.» An der Chorakademie sollten keine Opernsänger herangezogen werden, sondern es drehe sich eher um das gemeinsame Singen in Ensembles. «Das ist für uns ein Leuchtturmprojekt und an deutschen Unis so einzigartig.»

Uni-Präsident Georg Krausch sieht das Collegium als «kreatives Forum für Musikbegeisterte vom Campus, aus der Stadt und der Region». Deutschlandweit einmalig sei, dass sich Mitglieder der Ensembles neben ihrem Studiengang – von der Afrikanistik bis zur Zahnmedizin – in der Chor- oder Orchesterakademie im vokalen und instrumentalen Bereich weiter ausbilden und qualifizieren können – mit Unterricht erfahrener Lehrkräfte und renommierter Berufsmusiker.

Christel Bieger, Vizepräsidentin des Chorverbands Rheinland-Pfalz, kennt das «Collegium musicum» auch. Einst war sie als Studentin dort Hilfskraft, das Angebot sei fantastisch, sagt sie. Allgemein tue sich gerade eine ganze Menge im Gesangsbereich. «Chorsingen ist in einem strukturellen Wandel», sagt sie. Es gehe eher weg vom traditionellen, in einem Verein organisierten Männerchor und hin beispielsweise zu Pop- und Jazzchören sowie zu Projektchören, die nicht fest in Vereinsstrukturen verankert seien. Vor einiger Zeit habe man sich noch Sorgen machen müssen, wie es mit der Chorlandschaft weitergehe. «Jetzt sehe ich einen breiten Silberstreifen am Horizont», sagt Bieger. «Singen ist wieder in – und das war es lange nicht.»

Ähnlich sieht das Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates. Er beobachtet zunehmend projektbezogene, zeitlich begrenzte Projekte im Chor- und Instrumentalbereich. «Die Lebensumstände der Menschen sind so, die Terminkalender sind voll.»

Als Samuel Kirsch an die Mainzer Uni kam, kannte er das Collegium noch nicht, wie er sagt. Es wäre für ihn aber ein echtes Argument für ein Studium in Mainz gewesen. Das hört Leiter Koch häufiger. Unter seiner Ägide ging das Angebot mehr an die Öffentlichkeit, wurde sichtbarer – auch ein Imagefilm wurde produziert. Hatte der Uni-Chor 2012 Koch zufolge noch rund 60 Mitglieder, sind es mittlerweile 300. Bei Frauen sei der Zulauf so groß, dass inzwischen vorgesungen werden müsse. «Das Bedürfnis ist groß – in und um die Uni», sagt Koch.

Wichtig ist dem «Collegium musicum» auch die Zusammenarbeit mit Schulen und Musikschulen im Umfeld. Ein Beispiel dafür ist das jährliche Domplatzsingen mit Schülern in Mainz. Bieger findet solche Querverbindungen «total wichtig». Ihr Verband ist – wie das Collegium – Teil eines neuen Projekts namens «Singen in der Grundschule». Kinder und Jugendliche müssten dort abgeholt werden, wo sie ohnehin seien – in der Schule, sagt Bieger. «Die Stimme ist das ursprünglichste Instrument.» Singen helfe auch beim Lernen von Instrumenten.

Für die Mainzer Chorakademie hat sich neben Jura-Student Kirsch auch Elena Morpurgo entschieden. Beide machen parallel beim Gutenberg-Kammerchor mit. Morpurgo studiert Medizin, stammt aus Mailand und kam eher zufällig an die Mainzer Uni, wie sie erzählt. Auch sie wusste erst nichts vom «Collegium musicum». Dann hätten Freunde sie zum Uni-Chor mitgenommen, so habe alles angefangen. «Es wurde sehr schnell ein sehr schöner Ausgleich für mich», sagt sie. «Erst dachte ich, ich schaffe das zeitlich nicht. Jetzt würde ich das Studium ohne gar nicht mehr überleben», scherzt sie. Häufig sei sie gestresst vom Lernen, nach der Chorprobe oder dem Gesangsunterricht strahle sie dann wieder. Zum Beruf will sie die Musik nicht machen. «Ich glaube, es wird für mich immer ein sehr schönes Hobby bleiben.»

Kirsch, Morpurgo und all die anderen Studenten investieren reichlich Zeit ins Singen. Zwei Semesterwochenstunden gehen für Ensemble-Singen drauf, eine weitere Stunde für Gehörbildung und Musiktheorie. Es geht um praktische Dinge wie Singen vom Blatt, um Musikgeschichte, Werk- und Gattungskunde. Zudem müssen die Akademie-Mitglieder drei weitere Semesterwochenstunden beim Uni-Chor mitmachen.

Angelegt ist die Gesangsausbildung auf zunächst vier Semester mit abschließendem Zertifikat. Anschließend sind zwei Aufbausemester möglich. Am Ende eines jeden Semesters können die Nachwuchssänger zeigen, was sie können. Am 8. und 9. Februar stand das Semesterkonzert von Uni-Chor und Uni-Orchester an. Auf dem Programm sind die Orchesterfassung von Gioachino Rossinis «Petite Messe solennelle» und die Ouvertüre der Oper «La forza del destino» von Giuseppe Verdi.

Für die Ausbildung an der
Chorakademie müssen Studenten 100 Euro pro Semester zahlen. Finanziert wird das Collegium vor allem über Sponsoren, Drittmittel und von der Uni. Letztere gibt nach eigenen Angaben jährlich rund 150.000 Euro. Zudem existiert ein Förderverein «Freunde des Collegium musicum Mainz».

Kirsch und Morpurgo wissen neben dem Singen an sich auch den sozialen Aspekt zu schätzen. Sie hat in der Sägerausbildung drei Freundinnen kennengelernt, mit denen sie sonst wohl nie in Berührung gekommen wäre. Kirsch nimmt beim gemeinsamen Singen eine «tiefe Gemeinschaft» wahr. Er sagt: «Man ist verbunden über eine ganz besondere Art der Kommunikation, es ist eine emotional tiefe Verbundenheit.»

Fotocredits: Andreas Arnold
(dpa)

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